Arbeit und Leben
Jänner
Am Neujahrstag gingen die Kinder zu den nahen Verwandten um zum Neuen Jahr Glück zu wünschen. Als Dank erhielten sie ein Fünf- oder Zehnkronenstück, wofür sie sehr dankbar waren.
Die Landschaft war fast immer tief verschneit. Es war kalt und die Bäche und Teiche waren mit einer dicken Eisschicht bedeckt. Es war die Zeit in der die Eiskeller mit Eis wieder aufgefüllt wurden. Kühlschränke und Gefriertruhen gab es noch nicht. Die Arbeit beschränkte sich zumeist nur auf das Versorgen der Tiere und das Melken der Kühe. An den Nachmittagen hielt man sich gerne auf der Ofenbank auf und ließ sich den Rücken von den Kacheln aufwärmen. Auch von den Kindern, wenn Sie ausgefroren vom Schlitten- oder Schlittschuh fahren nach Hause kamen, war die wohlige Stelle am Kachelofen sehr begehrt.
Für die Bürgerschulkinder war es eine harte Zeit, bei hohem Schnee und Kälte zu Fuß nach Lissowitz zu gelangen. Manchmal holte sie ein Bauer mit dem Pferdeschlitten ab.
Das Niederwild hatte es auch nicht leicht unter der Schneedecke Futter zu finden. Die Jäger bzw. Jagdgesellschaften, banden an den Baumständen Bündel Klee oder Heu für die Wildhasen fest und für die Rebhühner errichteten sie Schutzhütten mit Körnerfutter. Die Feldhasen kamen bis an die Dorfränder, um Fressbares zu finden, um zu überleben. Man sah es an den Spuren, die sie im Schnee hinterließen. Bei Schneeverwehungen wurde die Bevölkerung von Amtswegen aufgerufen, die Straßen frei zu schaufeln.
Feber
Im Februar war es zu Hause zumeist noch immer kalt und die Landschaft und Dörfer waren zugeschneit - wie mit einem Leichentuch zugedeckt. Im Winter des Jahres 1928/29 sank das Thermometer fast auf – 30 Grad. Das hatte zur Folge, dass viele Wasserpumpen einfroren und Obstbäume erfroren. In unserem Garten erfroren zwei große Nussbäume. Man wusste sich zu helfen, indem man die Äste bis fast an den Stamm absägte. Die Bäume schlugen im Frühjahr wieder aus und gediehen. Die größeren und mittleren Bauern schlachteten zur Versorgung der Familie und der Dienstboten noch einmal ein fettes Schwein. Der Speck wurde gewürfelt und in großen Töpfen ausgelassen auf dem Sparherd. Die Grieben (mundartlich: Krampl) wurden gemahlen zu Kramplschmalz. Es war ein sehr begehrter Brotaufstrich im Frühjahr zur Feldarbeit.
Das Schweinefleisch wurde eingesalzen, alles gepökelt, und in einem Holzbottich eingelegt. Um es bis in den Sommer hinein haltbar zu machen, wurde es dann im Rauchfang oder Selchofen geräuchert. Dazu wurde nur Buchenholz verwendet.
Das Schweinefleisch wurde eingesalzen, alles gepökelt, und in einem Holzbottich eingelegt. Um es bis in den Sommer hinein haltbar zu machen, wurde es dann im Rauchfang oder Selchofen geräuchert. Dazu wurde nur Buchenholz verwendet.
In den Februar fiel auch die Zeit der großen Bälle in unseren Dörfern. Höhepunkte waren die Bälle des Musikvereins und der Feuerwehrball, dazu spielten die Musiker der örtlichen Musikvereine. Fasching wurde an zwei Tagen gefeiert. Maskiert hatte man sich wenig, denn zum Tanz trug man ja die schöne Sonntagstracht.
Eine Woche nach Fasching war der Fleischsonntag. Da trafen sich die Mädchen und Burschen in einem Wirtshaus und kochten das von den Bauern geschenkt bekommene Rauchfleisch zum Schmaus ab. Getanzt wurde aber nicht mehr.
Im Februar kamen auch zumeist die jungen Fohlen zur Welt.
März
Im Monat März, wenn der letzte Schnee weg geschmolzen war und die Ackerkrume zu trocknen begann, begann die Arbeit auf den Feldern. Während Korn und Weizen schon im Herbst eingesät worden sind, säte man Gerste und Hafer erst jetzt mit der Sämaschine ein. Der über den ganzen Winter angesammelte Stallmist konnte nun auf die Äcker gefahren und eingeackert werden.
Alljährlich im Frühjahr wurden unsere Häuser und Stallungen von den Frauen und Mädchen mit Kalkweiß gestrichen, dagegen die Sockel schwarz mit Ruß. Unsere Dörfer sahen dann frisch und blitz-blank sauber aus. Auch die Stämme der Obstbäume wurden gegen Schädlinge weiß mit Kalk gestrichen. Strohdächer wurden, sofern noch welche vorhanden waren, die über den Winter Schaden genommen hatten, von Fachleuten mit dem langen Kornstroh ausgebessert. Das waren Tschechen, denn im Dorf konnte es niemand.
Jetzt holte man mit Fuhrwerken aus den großen Wäldern bei Ratschitz (tschechisch: Raciče) oder Ruprechtdorf (tschechisch: Ruprechtov) Brennholz für den Jahresbedarf. Das in den kleinen Wäldern der Sprachinseldörfer anfallende Holz konnte den Bedarf nicht decken. Zusätzlich verwendete man zum Heizen und Kochen auch Steinkohle. Diese wurde in Mährisch Ostrau (tschechisch: Ostrava) und in Rositz (tschechisch Rosice) bei Brünn gefördert. Die von Ostrau hatte eine weit höhere Heizkraft. Der Vorrat an Futterrüben ging zu Ende und es mussten nun die aus den Erdgruben herausgeholt werden. Ebenso war es mit den Kartoffeln. Die in den feuchten kühlen Gruben eingelagerten Erdfrüchte waren frisch und ohne Verlust von Feuchtigkeit.
Bei den Pferden wurden die Hufeisen vom Schmied abgenommen und durch Sommerhufeisen ersetzt. Die spitzen Eisenstollen hatten nun ausgedient.
April
Auf den Wiesen mussten die Maulwurfshügel geebnet werden und in den Gemüsegärten wurde die Erde gelockert, gerecht und fein gekrümelt zur Aufnahme des Samens und der jungen Pflänzchen. Aus den Jauchegruben wurde mit Handpumpen die Jauche in spezielle Holzfässer gepumpt und zur Düngung auf den Wiesen ausgebracht. Die Kartoffeln, die man nur für den Eigenbedarf pflanzte, wurden in den nun schon warmen Boden eingelegt.
Überall rührte sich Leben auf den Höfen. Die Küken und die kleinen Gänschen schlüpften aus den Eiern und die Schwalben kehrten aus der Ferne zurück, sowie auch die Wachteln, denn an Nahrung fehlte es jetzt für sie nicht. Auch auf den Feldern und Wiesen schlüpften jetzt die jungen Rebhühner oder Fasane.
Ostern fiel zu meist in den Monat April. Am Karfreitag wurden die Glocken abgestellt. Man ging zur Trauermette in die Kirche und gedachte der Leiden Jesus Christus. Das Herrgottküssen war angesagt in der Kirche. Dazu waren zwei Kreuze ausgelegt. Betend kniete man davor und küsste die fünf Wunden des Heilands. Als Kind war man dabei sehr aufgeregt und küsste ehrfurchtsvoll die Wunden. Zu Ostern wurden auch das Feuer und Wasser geweiht, die Palmkätzchen schon am Palm-Sonntag. Am Karsamstag wurde die Auferstehung Christi feierlich in der Kirche gefeiert. Dabei ging die Gemeinde in Prozessionsform dreimal um die Kirche herum. Man war sehr gerührt. Am Ostermontag versammelten sich die Burschen hoch zu Ross zum Saatreiten vor der Kirche. Der Pfarrer erteilte ihnen den Segen und überreichte den ältesten Burschen ein großes Kreuz. Damit ritt er an der Spitze des Zuges die Gemarkung ab. Man erbat eine gute Ernte und Schutz vor Unwetter, Blitz und Hagel.
Zu Ostern wurden rot gefärbte Eier mit einem Gerät ornamentartig kunstvoll verziert, zumeist um sie zu verschenken. Die Mütter buken in der Guglhupfform Osterkuchen – Osterbuchta – die besonders gut schmeckten und sehr lange haltbar waren.
Am Abend des letzten Tages im April brachen zumeist die Kinder junge Holunderzweige ab und stellte diese an den Fensterwinkel außen zum Schutz vor Hexen, obwohl man nicht mehr an Hexerei glaubte.
Mai
Am Morgen des 1. Mai wurden die Holunderzweige, die vor Hexen schützen sollten, von den Fenstern weggeräumt. Es waren keine Hexen gekommen.
Der Monat Mai war ausschlaggebend für das Wachstum und Gedeihen der Feldfrüchte. Das altbekannte Sprichwort: „Ist der Mai kühl und nass, füllt der Bauer Scheune und Fass“ hatte auch damals seine Gültigkeit. So wuchs und blühte es in den Gärten und auf den Feldern. Auch auf den kilometerlangen Kirschbäumen war eine Blütenpracht. Als letzte Feldfrucht wurde der Kukuruz (Mais) gepflanzt, denn er war besonders frostempfindlich und die Eisheiligen konnten ja noch kommen.
Der 1. Mai war in der damaligen neu gegründeten Tschechoslowakei seit 1918 ein gesetzlicher Feiertag. Weil wir Deutschen uns aber mit diesem Staat noch nicht identifiziert hatten, hielten wir uns an dieses Gebot nicht und arbeiteten ostentativ auf unseren Äckern. Es konnte dann vorkommen, dass ein tschechischer Gendarm aus Hobitschau den verantwortlichen Bauern mit einer Geldbuße bestrafte. In der Nacht zum 1. Mai stellten die Burschen zumeist in der Dorfmitte über Nacht einen geschmückten Maibaum auf. Für die Kinder erschien das wie ein kleines Wunder. Über Nacht solch ein hoher Maibaum. Wie war das möglich?
An den Abenden flogen immer sehr viele Maikäfer. Sie waren sehr gefräßig und setzten sich auch in die Obstbäume. Morgens - noch bevor ich in die Schule ging - begab ich mich in unseren Garten, um Maikäfer zu schütteln. Das merkte unser Hahn und folgte mir in den Garten mit seiner Hühnerschar. Die Maikäfer fielen wie reife Früchte von den Bäumen und für die Hühnerschar war das ein gefundenes Fressen. Ob es sich auf die Qualität der Eier auswirkte?
In den Abendstunden flogen sehr viele Fledermäuse hakenschlagend in der Luft und fingen so ihre Nahrung. Als Buben hatte man Zeit es zu beobachten.
Maiandacht war auch angesagt. Ich glaube auch an den Werktagen. Zumeist gingen dann nur die Älteren und Kinder in die Kirche. Die anderen waren noch mit der Versorgung der Tiere beschäftigt. Oft nahm man einen Fliederstrauß mit in die Kirche, das duftete so schön.
In bestimmten Abständen fanden drei Bittgottesdienste statt. Die Prozession ging von der Kirche aus in verschiedene Richtungen hinaus in die Fluren. An Feldkreuzen wurden Andachten gehalten mit der Bitte um eine gute Ernte: „Gott schütze uns vor Blitz, Hagel, Unwetter und alles was die Ernte beschädigt.“
Im Mai wurden die Burschen eines bestimmten Jahrganges in Wischau gemustert. Man sagte assentiert. Mit einem geschmückten Wagen brachte ein Bauer die Burschen zur Assentierung und wieder in das heimatliche Dorf nach Hause. Die tauglich Befundenen hatten rund um den Hut ein buntes Sträußel. Die Nicht-Tauglichen trugen keinen Kopfschmuck. Auf den Wagen stehend und singend fuhren die schon angeheiterten Rekruten durchs Heimatdorf. Jedes Jahr gab es auch einen Rekrutenball. Die Rekruten wurden einzeln von zu Hause mit Musik abgeholt und zum Tanzboden geleitet. Mit Beginn des 2. Weltkrieges war es bei der Musterung still geworden. Man zog etwas bedrückt in heimatliche Gefilde.
Juni
Im Juni war es schön warm und es war noch an der Zeit mit der Heuernte zu beginnen. Am Tag zuvor wurden noch am Abend die Sensen gedengelt auf einem Dengelstock. Am nächsten Tag ging es dann in aller Frühe hinaus auf die Wiesen, denn im Tau mähte es sich leichter. Das Gras wurde gemäht, zerstreut zum Trocknen. Am nächsten Tag gewendet und zu Heuschobern aufgesetzt. Am dritten Tag wieder zerstreut und nach Hause gefahren. Das gleiche geschah auch mit dem Klee. Das war der Rotklee, wir sagten der Steierische, die Esparsette und die Luzerne. Letzterer war der Ertragreichste weil er dreimal gemäht werden konnte mit der Mähmaschine. Zum Füttern der Kühe und Pferde wurde jeden Tag Grünfutter heimgeholt. Zur Heu- und Klee-Ernte brauchte man Tagwerkerinnen.
Fronleichnam war ein hohes katholisches Fest – der Leib des Herren (mundartlich: Gotsleimastooch). An vier bestimmten Hoftoren wurden reich geschmückte Altäre aufgestellt. Von der Kirche aus ging die Gemeinde in Prozession zu diesen Altären. Am Tag zuvor wurde auf einer bestimmten, blumenreichen Wiese gemäht und damit der Weg der Prozession sozusagen geschmückt. Der Geistliche schritt unter einem Baldachin mit der Monstranz und Hostie an der Spitze des Zuges zu den Altären und hielt Andachten. Dieses hohe kirchliche Fest war sehr beeindruckend und hat mich im Glauben befestigt.
Inzwischen waren an den Straßenrändern nach Hobitschau und Kutscherau die Kirschen reif, an denen man sich als Kinder unerlaubt gütlich tat. In dieser warmen Jahreszeit wuchs alles sehr schnell. Das Getreide hatte schon Ähren und die Hackfrüchte wie Kartoffel, Zucker- und Futterrüben und Mais wurden noch einmal, bevor die richtige Ernte begann, durchgehackt, kultiviert sowie vom Unkraut befreit. Nun ließ man es mit der Arbeit etwas ruhiger angehen, beobachtete das Reifen des Getreides und wartete auf die Getreideernte, den Schnitt im kommenden Monat. Trotz der vielen Arbeit wurde in Kutscherau, so sagte man mir, Peter und Paul gefeiert. Es war der letzte Tanz vor der Erntezeit.
Juli
Am 1. Juli begannen für alle Schüler gleichzeitig die langersehnten Ferien, die erst am 31. August endeten. Spielgeräte für Kinder gab es nur wenige. Das waren Klicker, Kügelchen aus Ton, Holzreifen den man mit einem Stäbchen anschob und Stoff- oder auch Gummibälle. Die Kinder aber waren sehr erfinderisch. Heute würde man sagen kreativ. Sie ließen sich immer etwas einfallen. Das konnten spontane Spiele in einer Scheune, Dachboden, Straße oder im Dorfbach bzw. Teich sein. Anleitungen von den Erwachsenen benötigten sie nicht. Dazu hätten die vor lauter Arbeit in dieser Jahreszeit keine Zeit gehabt.
So etwa zwischen dem 17. bis 20. Juli begann die Getreideernte, wir sagten der Schnitt. Zuerst wurde die Gerste, dann der Weizen, Korn und zuletzt der Hafer mit der Mähmaschine gemäht. Dann mit Strohbändern zu Bündeln gebunden und sodann zu Häufel oder Mandl aufgestellt. Während das lange Korn noch in der Scheune mit Dreschflegeln gedroschen worden ist, drosch man das übrige Getreide mit der Dreschmaschine.
In Rosternitz wurde noch immer ein alter Brauch gepflegt wegen einer Feuersbrunst. Am 9. Juli 1784 schlug ein Blitz in einem Baum ein. Im Haus Nr. 19 griff das Feuer auf eine Scheune über. Der Brand weitete sich aus und vernichtete die Häuser Nr. 15, 16, 17, 18, 20 und 21. Feuerwehr gab es damals noch keine und nur mit Eimern konnte man gegen das Feuer nicht viel ausrichten. Dass das Feuer trotzdem gelöscht werden konnte und nicht noch mehr Schaden entstand hatte dazu geführt, dass jedes Jahr am 09. Juli kein warmes Essen mehr zubereitet wurde. Im Gedenken an die Feuersbrunst verzichtete man darauf. Dieses Versprechen hielt man bis zum Ende der Wischauer Sprachinsel im Jahre 1946. So wie in Rosternitz begingen auch die Kutscherauer einen Tag an dem kein Feuer angemacht worden ist zum Gedenken an eine Feuersbrunst. Man nannte den Tag den Milchtag und es gab nur kaltes Essen.
Am Fest Maria Heimsuchung machten die Sprachinsler eine Wallfahrt nach Kiritein (Křtiny) am 2. Juli. Der Weg ging über Lultsch, Nemtschan und Ratschitz (Luleć, Nemojany, Raciče). Man blieb über Nacht und schlief in einem Saal auf dem Boden mit Strohsäcken. Morgentoilette an einem Brunnen im Hof. Kiritein hat eine wunderschöne Wallfahrtskirche, genannt auch der mährische Dom.
August
Die Getreideernte dauerte bis in die Mitte des Monats. Alle zur Verfügung stehenden Kräfte waren dabei beteiligt, auch die größeren Kinder teilweise. Wenn alles unter Dach und Fach war, war man froh. Die Bäuerin lud alle beteiligten am Schluss zu einem großen Festessen, in meinem Heimatdorf sagte man DRISCHHOU, ein. Die Hauptspeise bestand aus einem Fleischgericht. Nachher gab es Flecken und zum Kaffee Zuckerbuchta. Das gute Wischauer Bier durfte dabei nicht fehlen. Bei der Ernte auf dem Feld mussten die größeren Kinder Pantl aufbreiten, das waren Strohbänder. Oder mit einem breiten Eisenrechen die Ähren und Stengel aufbrechen, damit auch nicht ein Halm verloren ging. Urlaub kannte man damals auf dem Lande noch nicht. Auch nicht beim Dienstpersonal. Dagegen in der Stadt Brünn war das anders. Mein Onkel Edwin mit seiner Frau bekam schon Urlaub, man nannte es Sommerfrische. Sie schrieben uns dann zumeist aus Österreich Kartengrüße. Die Kinder badeten in der warmen Jahreszeit zumeist im eigenen Dorf im angestauten Bach oder Teichen. Bei den Erwachsenen war zu meiner Zeit das Baden verpönt. Das gehörte sich nicht.
Das auf den Feldern herangewachsene Wild, das waren Rebhühner, Fasanen, Wachtel und Feldhasen, hielt sich jetzt gerne in den schattenspendenden Rüben, Kartoffel oder Maisfeldern auf.
Als Buben gingen wir manchmal, ich erinnere mich gut daran, nach Pistovitz (Pistovice) um in dem dortigen Teich zu baden. Das Wasser, so meinten wir, trug uns leichter als im Rosternitzer Dorfbach. Auf dem Grund des Teiches waren große Muscheln, die wir herausholten aber dann wieder hineinwarfen.
September
Am 1. September begann für die Kinder wieder die Schule. Mit den großen Ferien und der großen Freiheit war es nun vorbei. Auf den Wiesen war das Gras wieder gewachsen, sodass es noch einmal gemäht werden konnte, getrocknet und auf dem Heuboden aufbewahrt worden ist. Wir nannten es Grumet – in der Umgangssprache Gruamat. Es wurde ausschließlich den Pferden vorgesetzt.
Auf den elektrischen Leitungen begannen sich die Schwalben für den Abflug nach Süden zu sammeln. Es galt der Spruch: „Maria Geburt fliegen die Schwalben fort“. Sie waren so zahlreich, dass sich die Drähte durchbogen, und flogen immer wieder auf und schwärmten als Übung für den weiteren Flug. Einmal war eine Schwalbe dabei, die war ganz weiß und ich beobachtete sie als Bub sehr aufmerksam. Sie flog zwar mit den anderen Schwalben fort, kam aber nicht mehr von Afrika in unser Dorf zurück, obwohl sie sich für den Flug gut vorbereitet hatte. Das machte mich traurig. Ob sie vielleicht ein Opfer der Vogelfänger wurde?
Die Bauern bereiteten nun die Felder für das Wintergetreide vor. Ende des Monats wurde dann das Korn und Weizen eingesät mit der Maschine, nicht mehr mit der Hand. Mit der Zeit wurde auch das Kraut der Kartoffeln dürr, also braun. Das war ein Zeichen, dass die Kartoffeln reif und ausgewachsen waren. Jetzt wurden wieder alle Hände gebraucht, denn früher hackte man noch mit der Haue Häufchen heraus. Fürwahr eine schwere körperliche Arbeit. Die Kartoffeln wurden ausgelesen in große, mittlere und kleinere und in Kartoffelsäcke gefüllt. Der Kartoffelroder, der von zwei Pferden gezogen worden ist, kam erst in den letzten Jahren vor der Vertreibung in unsere Heimat. Er brachte eine große Erleichterung. Wenn der Kartoffelacker sehr weit von zu Hause weg war, nahm man das Mittagessen auf dem Felde ein. Gegen Abend kam der Bauer aufs Feld. Sack für Sack wurde aufgeladen und nach Hause gebracht. Manchmal setzte schon die Dämmerung ein. Zu Hause wurde ein Teil der Kartoffel in den Keller und der andere im Garten in eine Erdgruft für den Winter, der Frischehaltung wegen, gelegt. Den Taglöhnern wurde das Abendessen nach Hause gebracht. Ein einmaliges Erlebnis bot sich am Ende dieses Monates. Auf einer feuchten Wiese in Richtung Wischau machte ein halbes Dutzend Störche Rast und suchten Futter. Das gab es noch nie. Am nächsten Tag flogen sie wieder weiter. Wahrscheinlich in Richtung Süden. Es war und blieb ein unvergessliches Erlebnis. An Maria Geburt fanden von allen Sprachinseldörfern eine Wallfahrt nach Nemtschan (Nemojany) statt. Es war ein so genannter deutscher Tag. Ein einmaliges gemeinsames Erlebnis das alljährlich stattfand.
Oktober
Bei schönem Wetter wurden die Kühe, Ziegen und Schweine noch immer vom Viehhirten auf die Weide getrieben. Die Tage wurden aber schon kürzer und auch etwas kühler.
Auf den Äckern war noch die letzte Frucht zu ernten. Das waren die Zuckerrüben. Hierzu benötigte man wiederum viele Hände um sie möglichst bei trockenem Wetter zu den Sammelstellen oder direkt nach Wischau in die Zuckerfabrik zu bringen. Die Zuckerrübe, das weiße Gold der Wischauer Sprachinsel, brachte den Landwirten schöne Erträge. Der Anbau war jedoch kontingentiert. Zuckerüberschuss wurde zur Fütterung für die Milchkühe verwendet. Auch die Futterrüben, - genannt Kuaruam – brachte man nun nach Hause in den Keller oder in Erdgruben.
Ein Teil des Spätkrautes wurde in Bottiche eingelegt oder zum alsbaldigen Verzehr in den Keller gelegt. Mit dem Wachstum des Futters auf den Äckern war es jetzt vorbei. Die Tiere wurden von nun an von den angelegten Vorräten über den Herbst und Winter gefüttert.
An einem Sonntag im Oktober wurde früher der Kaiserkirchtag gefeiert. Da gab es, so sagte man mir, schon Gänsebraten mit Knödel und auch Kolatschen.
November
Wenn alle Feldfrüchte geerntet waren, konnten die Äcker tiefgründig für den Winter über gepflügt werden. Auf dem großen Platz in unserer Kreisstadt Wischau war an den Samstagen jeweils Markt und man hatte ja auch jetzt Zeit, um Einkäufe zu tätigen. Außer den Gebrauchsgegenständen wurden auch lebende Tiere wie Ferkel, Hühner, Tauben usw. angeboten.
Das Fest Allerheiligen wurde tiefsinnig begangen. Die Gräber auf den Friedhöfen waren mit Kunstblumen und Kerzen geschmückt. Nach Einbruch der Dunkelheit versammelte sich die ganze Gemeinde auf dem Friedhof und gedachte an den Gräbern stehend ihrer verstorbenen Angehörigen. Der Geistliche hielt eine Andacht, wobei auf allen Gräbern unzählige Kerzen brannten. Es war ein ergreifender und zugleich nachdenklicher Anblick.
Nach Anfang des Monates stand die Jagd, es waren Kreisjagden, bevor. Jagdpächter war zumeist ein ortsansässiger Jäger. Er bildete eine Jagdgemeinschaft. Als Jagdgäste lud man Jäger aus den Nachbardörfern und sogar aus der Brünner Sprachinsel sowie aus der Stadt Brünn ein.
An einem solchen Jagdtag habe ich am 6. November das Licht der Welt erblickt.
An Feldhasen mangelte es nicht, besonders in Kutscherau. Darauf sind sie heute noch stolz, die Kutscherauer. Abends lud der jeweilige Jagdpächter die Jäger und auch die Treiber in eine Gaststätte zum Hasenessen ein. Die Musik spielte manchmal dazu. Die erlegten Hasen wurden zumeist nach Brünn in die deutsche Zentralmolkerei zum Verkauf gebracht.
Als Bereicherung des Essens gab es jetzt schon ab und zu eine Ente, die damals noch gestopft worden waren.
Am 25. November ist der Namenstag der Hl. Katharina. Ihr zu Ehren wurde der Kathreinball gefeiert. Es war der Tanz, bei dem die Mädchen die Burschen zum Tanz auffordern durften.
Dezember
Im Dezember ließ man es auf den Bauernhöfen bezüglich der Arbeit ruhiger angehen. Es war alles für den Winter vorbereitet. Die Felder waren längst abgeerntet, genügend Futter für die vielen Tiere zu Hause unter Dach und Fach, die Wintersaat eingesät und die Felder umgeackert. In den Gärten band man um Frostschäden vorzubeugen Strohbündel um die Baumstämme der Obstbäume und um die eisernen Wasserpumpen. Die Pumpen aus Holz, das waren dicke Holzstämme, froren nicht so leicht ein.
Die Hausfrauen und Mädchen hatten jetzt an den Nachmittagen, wenn die Arbeit im Hof und Stall getan war, genügend Zeit in der warmen Stube neue Trachtenstücke anzufertigen oder auszubessern. Die Männer suchten manchmal den Schmied oder Sattler auf, der neuesten Nachrichten wegen. Auch war es jetzt an der Zeit, die Pferdehufe neu zu beschlagen. Dazu mussten erst die Sommereisen entfernt werden und die Hufe mit Wintereisen beschlagen werden. Das waren Hufeisen in die man bei Glatteis vier Eisenstollen einschrauben konnte. Die Fußballer der heutigen Zeit haben das nachgemacht.
Für die Gänse ging jetzt die schöne Zeit, die sie das Jahr über in Dorfbach, Teichen, Feldern und Wiesen zugebracht hatten, dem Ende zu. Sie wurden der Reihe nach mit angekochtem oder aufgeweichtem Mais (Kukuruz) gestopft, damit sie - des Schmalzes wegen - recht fett wurden. Um das Einkommen aufzubessern, wurde auch manche fette Gans verkauft.
Das beim Braten anfallende Gänseschmalz war ein vorzüglicher Brotaufstrich. Es schmeckte und roch so gut nach Braten, gebräunten Zwiebeln, Kümmel und war sehr lange haltbar.
Vor Weihnachten ging der Viehhirte von Haus zu Haus und wurde von den Bauern mit Eiern, Mehl, Schmalz und auch Geld belohnt.
In dieser Zeit wurde fast in jedem Haus zur Selbstversorgung ein Schwein geschlachtet. Das Schlachten lernte man von den Vätern und auch die Verwertung des Fleisches und übertrug sich von Generation zu Generation. Für die bevorstehenden Weihnachtsfeiertage versorgt und auch genug Vorräte angeschafft, sah man beruhigt der kommenden Zeit entgegen. Das angefallene Schmalz, die Schweine waren ja sehr fett, das musste in der damaligen Zeit so sein, wurde in Holztindeln in kühlen Räumen aufbewahrt. Öl oder Margarine verwendete man nicht zum Kochen. obwohl es schon die Marken LIGA und VITELLO als Brotaufstriche gab.
Für die Festtage wurde das Haus und die Stube geputzt und Zuckerwerk gebacken. Den Christbaum kauften wir in der Stadt auf dem Markt. Er wurde in der Stube aufgestellt und schön geschmückt. Am Heiligen Abend gab es kein großes Essen, eher bescheiden. Das Festessen fand erst am ersten Weihnachtsfeiertag statt im Kreise der Familie. Das waren Eltern, Kinder, Großeltern und die Dienstboten. Die Geschenke fanden die Kinder, das Christkind kam über Nacht, unter dem Christbaum. Meine Mutter ging am Hl. Abend mit einem großen Laib Brot und einem Messer in die Stallungen und gab jedem Tier ein Stück Brot als Dank.
Der Höhepunkt eines jeden Jahres war Weihnachten. An Silvester blieb man zu Hause. Jäger schossen manchmal mit dem Gewehr in die Luft zur Begrüßung des neuen Jahres.
Das sind meine noch vorhandenen Erinnerungen an die alte Heimat. Bestimmt ist bei mir vieles nach Jahrzehnten in Vergessenheit geraten, denn meinen Heimatort habe ich im Jahre 1942 mit dem Einzug zum Kriegsdienst verlassen müssen, mit der Hoffnung einst wieder gesund nach Hause zur Familie in das vertraute Dorf, wo jeder jeden kannte, zurückzukehren, was sich jedoch als Trugschluss erwiesen hat.
(Hannes Legner früher Rosternitz)